Artikel erschienen am Fr, 12. November
2004 |
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Der Mythos Nordafrikas
Die marokkanische Festungsstadt Essaouira bietet eine
prächtige Medina und spektakuläre Surfreviere
Von Martin Dziersk
Achmed ist verärgert. Und wenn er, was nicht so häufig
vorkommt, eine Touristengruppe durch "seine Stadt" führt, lässt er sein
Unverständnis und seine Empörung deutlich spüren. "Casablanca und
Marrakesch kennt jeder", wettert er dann. "Aber Essaouira - diesen Namen
hat noch kaum einer gehört. Ich möchte wetten, dass die meisten Urlauber
nicht einmal wissen, wo sie Essaouira auf dem Atlas suchen sollen. Dabei
ist es die schönste Stadt Marokkos..."
Ganz so Unrecht hat der 34-jährige Marokkaner nicht. Die
Hafenstadt, knapp 180 Kilometer nördlich des bekannten Badeortes Agadir,
schon von den Phöniziern gegründet und von den Portugiesen im 16.
Jahrhundert zur mächtigen Seefestung ausgebaut, braucht einen Vergleich
mit ihren königlichen Schwesterstädten nicht zu scheuen - auch wenn sie
keine so prächtigen Palastanlagen vorzuweisen hat wie Fès, Rabat oder
Marrakesch. Umso mehr beeindruckt sie durch ihre architektonische
Schönheit und ihre Lage auf einem lang gestreckten Felsen am Meer. Wie
eine Fata Morgana thront sie dort zwischen Himmel und Wasser - ein
Gebilde aus Sonne und Licht, in dem die weiß gekalkten Häuser
schattenlos mit dem Dunst der Atlantikbrandung verschmelzen.
Essaouria hat alle Voraussetzungen, um dem benachbarten
Agadir touristisch den Rang abzulaufen - eine vollständig erhaltene
Medina mit gemütlichen Restaurants und Cafés, mit quirligen Basargassen
und idyllischen Plätzen. Und mit Kilometer langen weißen Sandstränden,
an denen freie Sonnenplätze noch keine Mangelware sind. Wenn nur der
Wind nicht wäre! Er kommt über das Wasser gebraust, wühlt in den
Kleidern, schleudert die feinen Sandkörner ins Gesicht und zerrt an den
Haaren. Aber er beschert Essaouira auch das angenehmste Klima der
gesamten marokkanischen Küste - milde Temperaturen das ganze Jahr über
(zwischen 20 Grad im Januar und 24 Grad im August).
Diese ständige gleichmäßige Atlantikbrise machte
Essaouira in den vergangenen Jahren zu einem begehrten Dorado für
Wassersportler. Vielen von ihnen konnte sie gar nicht kräftig genug
wehen. "Wind-City" tauften sie deshalb die Stadt an der Küste - ein
Name, der bei vielen Seglern und Surfern als Geheimtipp gehandelt wurde.
Doch nun kann Achmed hoffen, dass seine Heimatstadt auch
bei weniger wassersportbegeisterten Marokko-Urlaubern bald aus ihrem
touristischen Schattendasein treten wird: Erst kürzlich wurde vor der
Bilderbuchkulisse von Essaouira ein zweiteiliger Fernsehfilm abgedreht,
der noch in diesem Jahr über die Bildschirme flimmern soll - eine
deutsch-italienische Co-Produktion mit Fernsehstars wie Armin
Mueller-Stahl und Uwe Ochsenknecht. Titel: "Die Kreuzritter". Selbst
Achmed hat bei den Dreharbeiten mitgewirkt - als Statist in
Ritterrüstung, als einer von mehr als 6000 in diesem filmischen
Mammutprojekt über eines der spannendsten Kapitel des Mittelalters.
Am nächsten Tag treffe ich Achmed in einem kleinen
arabischen Café an der Place Mouley Hassan. Bunt gemusterte
Keramik-Kacheln mit filigranen Arabesken schmücken die Wände. Das Café
ist Treffpunkt für Händler und Marktbesucher, die hier ihren thé à la
menthe trinken und schnell eine Bisra essen, die traditionelle
marokkanische Bohnensuppe mit einem kräftigen Schuss Olivenöl, dazu
ofenwarmes Fladenbrot.
Jetzt hat er Zeit, mir seine Stadt zu zeigen - eine
Stadt, die beinahe europäisch wirkt mit ihrem gradlinigen Grundmuster.
Kein Gassengewirr wie in den Souks von Fès oder Marrakesch, nein,
schnurgerade wie auf einem Schachbrett durchschneiden breite Straßen die
Medina und teilen sie auf in die Viertel der verschiedenen
Handwerkerberufe - der Kunsttischler, der Gold- und Silberschmiede, der
Gewürzhändler. Ein Labyrinth der Verführung, ein Konglomerat aus
Bildern, Gerüchen und Farben umgibt uns: Riesige Seiden- und Stoffballen
türmen sich wie Barrikaden vor den Ladentüren, und zwischen den engen
Mauern hängt der Duft unzähliger orientalischer Gewürze - von
getrockneter Minze und Pfefferschoten, von Kreuzkümmel und Koriander.
Jahrhunderte lang galt Essouira als Hafen- und
Handelsplatz für Waren aus allen Teilen des schwarzen Kontiments, als
Tor zur Sahara, als Vorposten der legendären Wüstenstadt Timbuktu.
Sklaven aus Zentralafrika wurden hier in die portugiesischen und
spanischen Kolonien der Neuen Welt verladen, Waren aus Europa gegen
Gold, Elfenbein und Straußenfedern getauscht. Für den deutschen
Afrika-Forscher Gerhard Rohlfs (1831 bis 1896), der als erster Europäer
ganz Nordafrika durchquerte, war Essaouira (in den Karten
portugiesischer Seefahrer damals noch Mogador genannt) das Ende der
Welt. "Hier sagte ich dem letzten Hauch der Zivilisation Lebewohl",
schrieb er in seinen Reiseaufzeichnungen. Und: "Ich wusste wohl, dass
weiter nach Süden kein Christ mehr anzutreffen sein würde..."
Heute lebt Essaouira vom Fischfang und vom Bootsbau. Auf
der Werft neben dem Hafen, der seine steinernen Molen wie riesige
Krakenarme ins Meer reckt, spreizen sich die hölzernen Gerippe der
Schiffe, im Hafenbecken dümpeln Fischerboote. Oberhalb der Mole haben
Fischer Holzbänke aufgestellt. Für ein paar Dirham verkaufen sie, was
ihnen beim Fang der letzten Nacht ins Netz gegangen ist - köstliche
Seezungen und Langusten, Sardinen und Gambas, frisch gegrillt vom
Kohlebecken. Ein paar Schritte weiter bietet sich von der hohen
Hafenmauer aus der beste Blick auf die Stadt, die Medina und den breiten
Festungsring, der sie fast vollständig umschließt - eine mächtiger
Schutzwall gegen die Stürme des Atlantiks.
Tipps und Infos
Einreise: Für Pauschalreisende reicht der
Personalausweis; Individualreisende benötigen einen Reisepass, der noch
mindestens sechs Monate gültig sein muss.
Gesundheit: Empfehlenswert ist eine Impfung gegen
Hepatitis A.
Angebote: Mehrere deutsche Reiseveranstalter, etwa
die Tui, bieten Rundreisen durch Marokko, die auch nach Essaouira
führen.
Thalassozentrum: Erst Ende 2000 eröffnet wurde das
neue Fünf-Sterne-Haus
Sofitel Mogador Essouira, 300 Meter vom Meer
entfernt. Hier werden Thalasso-Therapie, Massagen, Sauna und ein Hammam
geboten ("Summer Sale"-Spezialpreise: Das Doppelzimmer kostet für zwei
Personen zwischen dem 29. Juni und 21. September mit Frühstück).
Auskunft: Staatliches Marokkanisches
Fremdenverkehrsamt, Graf-Adolf-Straße 59, 40210 Düsseldorf, Tel. 0211/37
05 51.
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